Wie abgebrüht sind Kapitalmärkte?
Seien wir uns ehrlich. Mit einem Krieg vor unserer Haustüre hat zu Beginn des heurigen Jahres wohl keiner gerechnet, oder? Und mittlerweile spielen sich von den Kellergeschoßen der Militärbüros bis hin zu unseren Köpfen die erschreckendsten Szenarien ab. Selbst der selbstverliebte Skandalkult der Corona-befallenen Medien der letzten Jahre kann solche Szenarien, die sich gerade vor unserer Haustüre mit hohem Realitätscharakter entfalten, nicht erfinden. Wir fürchten um unser Leben und die Märkte um ihres. Und doch … die Reaktion sieht nach den ersten Schrecksekunden zumindest verhalten aus. Kommt der Sturm noch? Sind die Märkte viel zu spät? Oder ist ihnen egal, wenn in der Ukraine Politbomben samt echten explodieren?
Es ist historisch belegter Fakt, dass Kapitalmärkte auf plötzlich eintretende kriegerische oder geopolitische Aggressionen überwiegend nicht mit gravierenden Kursreaktionen reagieren. Kaum ein Event hatte einen echten Crash zur Folge. Der größte Einzelabsturz war im Zuge der 9/11 Anschläge in den USA zu verspüren. 4,9% fiel die Börse an einem Tag (danach wurde sie ausgesetzt). Die Invasion Kuweits durch den Irak löste gerade mal -1,5% aus und, auch wenn es keine Kriegsaggression war, so doch eine globale Bedrohung, die „Entdeckung“ von SARS-CoV-2 als globale Bedrohung am 20.1.2020 schaffte gerade mal -0,3%. Was die Antwort auf obige generelle Frage aber bedingt, ist der Blick auf die Tage danach. Und da zeigt sich ein Bild, das den gesamten Input auf die Märkte zeigt und die wirksamsten Motive enttarnt. Die stärksten Einschläge an den Kapitalmärkten zeigten sich bei kriegerischen Auseinandersetzungen und Pandemien. SARS-CoV-2 schaffte es 33% der globalen Kurse zu reduzieren, bis die Aktien wieder nach Oben drehten. Der Krieg im Irak sorgte für -16,3% und selbst die mit der aktuellen Ukraine-Situation immer wieder verglichene Kuba-Krise drückt die Kurse „nur“ um 6,6%. Einziger Terror-Anschlag, der einen tieferen Kurseinbruch verursachte, war 9/11 mit -11,8%, aber dies wohl am ehesten wegen der politischen Bedrohung, die sich danach herausbildete. Die Statistik summiert all die erfassten Effekte auf durchschnittlich -6,1% bei einer Wirkungsdauer von 23 Tagen, die Erholungen danach dauerten mit rund 50 Tagen doppelt so lange, der positive Effekt über diese Frist hinaus wurde nicht mehr in Verbindung mit dem jeweiligen Anlass gebracht.
Die in unseren Tagen, und auch historisch belegt, aber viel stärkeren Momente der Emotionen sind Inflation, Konjunktur, oder Störungen im globalen Produktionskreislauf. Die gehen den Märkten viel stärker an die Nerven als offensichtlich Kriege.
Eigentlich muss ich sagen, dass ich auch keine Antwort darauf habe, warum das so ganz genau ist. Ein Grund dürfte aber darin liegen, dass, solange es ein System der Bewertung von wirtschaftlichen Gütern gibt, das allen gemein ist, werden es auch diese „Alle“ sein, die die Emotionen, die einen persönlich ereilen, immer wieder durch die schiere Masse übertönen. Das Individuum ist erkennbar viel zu sensibel und auch einseitig geprägt, als dass es unberührt und analytisch distanziert Chance und Risiko im Blickpunkt behält. Wir sind einfach an den Schicksalen, Bedrohungen, Schmerzen oder auch der generellen Unsicherheit weit stärker emotional berührt, als es die anonymen Märkte sind. Das macht uns verletzlich und lässt uns den Sinn oftmals hinterfragen, stärkt aber gleichzeitig die Erkenntnis, dass „die Märkte“ als Ganzes und als Einheit genau diese Logik der großen Gruppe in sich tragen. Und diese Logik ist es dann auch, die oftmals abgebrüht wirkende Kursreaktionen auslöst, welche wir als Individuum als kaltherzig missverstehen könnten. Das schärft am Ende aber sogar das Prinzip Hoffnung, dass die Märkte auch für uns eine Indikation über die zu erwartenden realen Effekte geben, weil sie als Summe aller beteiligten Intelligenzen erkannt sind. Etwa als ein Gradmesser der Wahrheit. Der Markt als Psychologe.
Trotzdem, jeder Krieg ist …