Die Sozialisierung von Produktionszyklen
Für uns Wirtschaftsinteressierte gab es die vergangenen Monate Einiges an Überraschungen und Veränderungen. Der Virus warf alles durcheinander, aber auch die Politik agierte überaus aktiv, was einerseits das Bewahren und Schützen bestehender Wirtschaftsprozesse im Sinn hatte, aber auch durch den Wechsel in Richtung einer klimaneutraleren Energiepolitik neue Spielrichtungen erzeugte, die durchaus problembehaftete Reaktionen im täglichen Produzieren auslösten. Diese Melange aus „Gut“ und „Gut gemeint“ stürzte etliche Firmen in Umstellungsprobleme und schuf die Basis für die uns nach wie vor begleitenden Lieferketten- und Halbleiterversorgungsschwierigkeiten.
Jede Reaktion ist natürlich auch eine Art Geschwindigkeitstest. Je schneller es gelingt, sich an veränderte Umgebungen anzupassen, umso eher wird es möglich sein die negativen Effekte daraus zu puffern oder sogar in neue Gewinne zu wandeln. So weit so gut, aber nur die halbe Miete. In unseren Wirtschaftsprozessen gibt es verschiedene Machtverhältnisse und Abhängigkeiten zu beachten. Ein Getränkekonzern lebt von der Qualität seiner Produkte in Kombination mit Marketing. Dem Lieferunternehmen, das die CO2 Brause dafür liefert, ist eine Rolle im Produktionsprozess zugewiesen und für die Meisten unsichtbar. Dort herrscht die brutale Macht von David und Goliath und zumeist hat Goliath die Erträge von David in der Hand, weil es ja zumeist andere Anbieter gibt, die auch CO2 liefern könnten. Diese Verhältnisse kann man über enorm viel Branchen ziehen. Insbesondere Produktionsprozesse sind davon nahezu einseitig geprägt. Und da ist jetzt etwas passiert. Die Revolution der „Kleinen“ hat gestartet.
Am deutlichsten ist diese Entwicklung gerade im Sektor der Automobile zu erkennen. Die großen Hersteller, die so genannten OEM’s (Original Equipment Manufacturer), jammern im Rampenlicht des Wandels zu Elektromobilität und dem grünen Planeten stehend um die Wette, weil die Halbleiter für den Rückspiegel fehlen, verdienen aber gleichzeitig in dieser Lieferklemme neuer Autos wie noch nie, weil die Kunden in ihrer Hoffnung auf den Urlaub nach Covid quasi in Notwehr auf die unzähligen Diesel auf der Halde zugreifen und dort zu einer Sonderkonjunktur für VW & Co geführt haben. Kein Wunder daher, dass die drei größten Verdiener im DAX derzeit mit Abstand die drei notierten Automobilkonzerne sind. Die Leidtragenden dieser Entwicklung sind die Zulieferbetriebe, die ja schon immer gezwungen waren, ihr Warenlager effizient zu halten, um den OEMs durch schnelle Lieferkette die Effizienz am Fließband zu erhalten. Diesen Zulieferern wurde gerade dieses Fließband rüde gestoppt. Die großen Abnehmer holen sich nur mehr das, was sie gerade brauchen bzw. was die Halbleiterlieferung aus Taiwan zu produzieren erlaubt. Dem gegenüber stehen aber Verträge auf Basis besserer Halbleiter-Zeiten, die die Kleinen zur aktuellen Über-Produktion zwingen. Ergebnis: die Zulieferer verdienen weit weniger als ihren Verträgen entspricht während die OEMs Rekordgewinne präsentieren, die natürlich auch der Resteverwertung auf der Halde teilweise geschuldet sind. Aber jetzt ist ein Punkt erreicht, der Vertragseinhaltung ins Zentrum rückt. Widerstand wird sichtbar.
Es macht sich in diesen Tagen eine Bewegung bemerkbar, die den Großen die Stirn bieten wird. Wenn es keine Anpassung der Verträge gibt, wird es keine Verträge mehr geben. Etliche wurden bereits gekündigt. Reuiges Zurückkehren der OEMs an den Tisch überwiegend die Folge. Erpressung von Oben nach Unten muss auch von Unten nach Oben funktionieren können. Und dieser Mut der Verzweiflung beginnt sich auszuzahlen. Die Großen erkennen, dass dann, wenn sich in 2022 die Halbleiter wieder massenhaft einbauen lassen, die Lieferung des Spiegels, des Aschenbechers oder der Auspuffschelle funktionieren muss, sonst geht dann dort das Licht wieder aus. Die im Produktionsprozess eingebundenen Firmen haben inzwischen einen mindestens ebenso hohen Qualitätsanteil am finalen Produkt wie die OEMs für sich selbst reklamieren. Jedes Auto, das mit seiner Qualität wirbt, ist so gut, weil auch die Zulieferer gut sind. Diese Qualitätssicherheit rückt gerade in den Fokus auch der OEMs. Die Erkenntnis, dass ein gemeinsames Miteinander sein muss, weil sonst nicht nur das Fließband stottert, sondern auch der Finanzchef, weil die Gewinne nicht mehr stimmen, prägt sich gerade ein.
Und das würde dann allen gleich weh tun, weil die Diesel sind schon weg.