Die neue Romantik in der Formulierung
Finanzmärkte sind ja, wie wir Alle wissen, knallhart. Virtuelle Plätze, wo Sensibilität und träumerisches Gehabe zumeist nur kurze Lebenszyklen haben. Zarte Saiten spielen hier selten Lieder. Doch in diese Feinfühligkeits-Wüsten fließt seit einigen Jahren gerade von unseren standhaften Notenbanken immer mehr Verbal-Romantik hinein, die man sich für kalte Winterabende vor den geistigen Kamin legen kann, wenn man denn daran glaubt.
So haben wir ja von unseren Währungshütern bis vor einigen Jahren kaum emotional Bewegendes gehört. Ein paar gemurmelte Statistiken und ein paarmal im Jahr ein Interview im jeweiligen Staatsfernsehen. Die Gehälter und Pensionen waren damals schon eher medialer Hauptdarsteller. Bis, ja bis zum Mario Drahi-Sager „whatever it takes“. Also „was auch immer es braucht“. Da war plötzlich ein Held, ganz allein gegen die bösen Hedgefunds und EU-Zerstörungswilligen, mit noch nicht aber bald rauchendem Colt im Raum sichtbar. High Noon in Frankfurt quasi. Ein paar Monate später kam dann „akkommodativ“ an unsere Ohren. Gefühlt zwei Wochen brauchte man, um dieses Wort in irgendwelchen Rechtsschreiblexika zu finden, um seinen Wortsinn zu entdecken. Google schaffte das so weit ich weiß in einem Tag. „Accommodative“ (versorgend), ein ins Deutsche hineingepresstes Wort, das die Freundlichkeit in der Unterstützung signalisieren sollte. Der große Bruder passt auf uns alle auf. Das übrigens damit, das am meisten in der internen Firmendialektik missbrauchte Wort, „unterstützen“, ins Notenbankerische übersetzt. Ach ja, ein weiterer Höhepunkt im Kuschelformulieren war und ist natürlich „Tapering“. Klingt ja bereits nach Verband, oder gar Stütze. Genial. Wer kann da noch Nein sagen. Doch der aktuelle Höhepunkt des finanzmarkttragenden Schwurbelns ist aber „transitory“. Die mit diesem Wort in Verbindung gebrachte einfühlsam formulierte Einschätzung, dass die Inflation uns nicht lange in dieser Höhe begleiten wird. Sie soll uns als kurzes Erlebnis erscheinen, bevor sie so leise wie sie kam auch wieder in den Finanzstatistiken verschwinden darf. Eben transitory. Fast schon in ihrer Bedeutung verschwunden. Wohl gewünscht ist halb geschafft, möge man meinen. Nun, die Inflation ist aber eine Tatsache die muss man leider akzeptieren, einfach nur darüber wohlfeil zu sprechen hilft nichts, wenn es darum geht etwas zu verhindern. Diese Inflation wird uns dummerweise noch länger bleiben. Egal ob „transitory“ oder nicht. Die Inflationsparameter sind nämlich möglicherweise transitory, also vergänglich, nur die Inflation in ihrer Struktur ist es offensichtlich nicht. Sie entsteht ja auch nicht über Nacht aus den in ebendieser Nacht entstandenen Preisveränderungen. Da gibt es dazwischen noch ein wenig Einkauf, Transport, Verarbeitung, Vermarktung, Verkauf und erst dann Konsum. Jeder will etwas dabei verdienen, vom Produzenten bis zum Staat. Und dieser Prozess ist, von Anfang bis eben zum Schluss auf Inflationsschiene gesetzt, eine Umkehr dazwischen ist fast nicht mehr möglich. Dieser Prozess kostet Zeit bis er die Inflation ergibt, und diese Zeit ist sicher länger als gefühlt „transitory“.
Also vielleicht ist jetzt gerade ein Zeitpunkt gekommen, an dem man sich die Gegenteile der davor so elegant über Notenbankerzungen fliegenden Worte ins Gedächtnis rufen und auf die jeweilig erfolgten Aktivitäten andenken sollte. Also gegen „transitory“ steht „lasting“, „Tapering“ opponiert gegen „Enlargement“ und gegen „accommodative“ müsste man „inhibit“ in den Sprachgebrauch nehmen.
Denn wer diese Gegenteile in die Diktion der Notenbanken einmal keck übernimmt, könnte vielleicht erkennen, dass sich jetzt, im Sinne der Real-Ökonomie, sprich dem ursprünglichen noch vor mehr als 10 Jahren offensichtlich geltenden Kreislaufverständnis zwischen Chance und Risiko, Kredit und Anlage, oder Qualität und Liquidität, plötzlich echte Wahrheiten eröffnen. Die Notenbanken hätten damit sicher keine Freude, aber in unserer schnellhörigen Welt versickert die Kritikfähigkeit ohnehin immer mehr zwischen Administration und Regulativ, und daher fällt es inzwischen eh kaum mehr auf.
Die Kraft der Worte besteht nämlich auch in ihrer Umkehrung. Wenn man mitdenkt.