Nervöse Märkte
Die Lockdowns zehren an den Nerven. Nicht nur im engeren Lebensumfeld, sondern auch an den Börsen, beginnt sich eine Fragerunde nach der anderen zu drehen, deren Antworten nicht immer linear und positiv getragen sind. Man beginnt zu zweifeln wann und ob die Impfungen, Hilfsgelder und auch politische Willensbekundungen ausreichen werden, die negativen wirtschaftlichen Effekte rasch zu überbrücken um unser „Leben danach“ wieder in neue, vielleicht sogar bessere Bahnen als zuvor zu lenken. Die Börsen spiegeln diese Fragen deutlich wider. Gewinne werden wieder öfter genommen, aber dagegen auch manche Investments erneut bestätigt. Die Vola steigt langsam.
Die Fragen, die man versucht in solchen Phasen zu beantworten, sind emotional fast immer auf der gleichen Eben zu finden. „Wie lange kann das noch gut gehen?“, „Wenn man jetzt verkauft, hat man wenigstens noch einen Gewinn?“, „Wie kann sich das alles ausgehen?“, „Kann mir jemand Tesla erklären?“. Es sind alles Fragen, die auf eine einzige Antwort hinsteuern, nämlich dass man viel zu teuer ist, und je früher, desto besser, ehschonwissen.
Nur, die Börsen sind eben nicht linear, weder im Anstieg, noch in der Konsolidierung, noch wenn es hinunter geht. Es ist immer die Mischung zwischen Gier und Angst, zwischen Ratio und Emotion am Werk. Und selbst nach einer Erfahrung wie im März 2020 müssen wir erkennen, dass die Werte an der Börse weit länger „leben“, als es unsere Nerven und Erwartungen oft wahrhaben wollen. Und genau hier liegt auch so etwas wie der Kern, den manche Börsen-Pudel in sich tragen. Es gilt die Parameter, die zur Erholung in 2020 beigetragen haben, konstant zu hinterfragen und sich deren Bestehen zu vergewissern. Und das sind die Notenbank-Aktivitäten, die Finanzhilfen durch die Staatshaushalte, die direkte Bekämpfung der Pandemie durch Impfung und Medikation, das performen von Zulieferketten und am allerwichtigsten das Funktionieren unserer Kapitalmärkte. Denn genau dieses Funktionieren stellt die Sicherheit dar, dass sich die Unternehmen wieder emporarbeiten können und ihre Rolle als Refinanzierungskraft von Wirtschaftskreisläufen bestehen bleibt. Natürlich gibt es Branchen denen es besser und auch schlechter geht. Es ist evident, dass wir uns derzeit in einer Art gespaltenem Wirtschaftsuniversum befinden. Die eine Hälfte, die von Lockdown, Ausgehverbot, TV-Eintopf und trotz sich stets verbessernden Küchenerfolgen immer isolierter in sich selbst wird. Quasi der Online-Einkauf am Wochenende der Ersatzurlaub. Und die andere Seite die, teilweise sogar durch Lockdowns geschützt, ihre Produktivität und auch ihr Wachstum weit besser voranbringt als ursprünglich gedacht. Beide Hälften bilden in Summe „unsere Wirtschaft“, aber beide Hälften sind unterschiedlich an den Börsen repräsentiert. Ein Bild, das sich gerade in Phasen nervöser Märkte deutlicher zeigt als sonst.
Und wenn wir uns den langen Blick nach vorne leisten wollen, dann sehen wir in unserer berühmten Glaskugel (in der so oft das Wetter in Nebel umschlägt) dass die Unternehmen selbstbewusst arbeiten, dass die Fremdsteuerung dort kaum anzutreffen ist, dass sie wie unsere Investitionspartner agieren und das nahezu von selbst. Ohne Zuruf. Noch weiter gedacht werden wir bemerken, dass diese Erkenntnis auch anderen „Investoren“, nämlich den Firmen selbst vors Auge tritt, und diese werden die Gelegenheit beim Schopfe packen. Aktuell steckt in vielen Firmen so viel Geld, wie seit der letzten Finanzkrise nicht mehr, und das gilt es gut zu investieren. Ein direkter Weg zur Vermutung, dass wir uns kurz vor einem Anstieg von Firmenübernahmen und Beteiligungen befinden. Der Zugewinn von Marktanteilen über den Mitbewerber oder auch der Zeitsprung in der Produktentwicklung via der Garage ums Eck. Der Börse tut dies sicher gut, die Diversität leidet halt nur. Wer dies bejammert freut sich dann irgendwann über neue Börsengänge. Auch gut.
Denn die Börse lebt.