Man sieht den Wald vor lauter Karotten nicht mehr
Weihnachten rückt näher. Das Fest der Freude und der Überraschungen. Geschenke, gutes Essen und das Glänzen in den Augen seiner Liebsten. Und, selbst wenn angeblich nirgends so viel gestritten wird wie an Weihnachten, zumeist erhält man auch was man sich gewünscht hatte. Und wie sieht es gerade an unseren Wirtschafts- und Finanzmärkten aus? Bekommen wir was wir uns erwarten?
Was wir seit Wochen bekommen ist ein emotionales Auf und Ab. Eine Kaskade der Hoffnung und Erwartung, die sich immer mehr und mehr in sich selbst dreht. Die Beispiele hierfür sind unzählig und in ihrer Konsequenz kaum zu ertragen. Da sind die permanenten Zusagen der Politik, etwas gegen die wirtschaftlichen Effekte von Covid-19 zu tun. Heerscharen von Juristen haben dutzende Gesetze, teilweise an der Grenze der Verfassung, entworfen und vorgelegt. Regierungen haben diese durchgeboxt und als Rettung vor dem Virus, zumindest so lange bis wir Alle geimpft sind, präsentiert. Erledigt? Nada. Alles noch in den Startboxen als Cash-Reserve eingebucht. Den Ministerien vor die Maske gehalten aber keine Umsetzung. Die Karotte vor der Nase, mit der man die Pferde zum Traben verlockt, hängt auch vor uns.
Beispiel USA? Der x-te Anlauf um ein Konjunkturpaket zu schnüren erstickt im gegenseitigen Beschuldigen warum es nicht geht. Alles unterbrochen von einem zunehmend neben sich stehenden Präsidenten, der es, nachdem er zuvor bei 500 Milliarden „viel zu viel“ gerufen hatte, nun mit mehr als den 2,2 Billionen der gegnerischen Demokraten zum „größten Finanzpaket aller Zeiten“ ruft. Auch amerikanische Pferde lieben Karotten.
Ach ja, der Brexit. Fast vergessen, weil als Gratwanderung an der Annahme politischer Intelligenz und Verantwortungsbewusstsein inzwischen zum Nebenschauplatz degradiert. Wie oft hier schon die Logik und Vernunft samt allgemeingültigem Rechtsbewusstsein außer Kraft gesetzt wurde ist ohnegleichen. Hier werden die Karotten immer kleiner. Auch Pferde können sich daran satt essen und ihnen überdrüssig werden …
Noch ein Beispiel? Von unserem Finanzminister wurden vor gar nicht langer Zeit erhebliche Erleichterungen für den Kapitalmarkt versprochen. Die KESt-Reform war so ein Versprechen. Eine zugegeben kleine Karotte, aber wir hätten sie auch genommen. Nächstes „Gemüse“ die MiFID II – Reform. Vor über einem Jahr seitens Deutschland vollmundig verkündet, von dutzenden Kapitalmarkt- und Volkswirtschafts-Kommentaren inhaltlich als dringendst notwendig begleitet. Passiert ist bis dato nichts. Gar nichts. Nicht einmal ein Hinweis auf die Richtung der Novellierung, denn die ursprünglich durchgesickerten Vorschläge wurden umgehend als völlig wirkungslos erkannt und sind darauf blitzartig wieder in der Versenkung verschwunden.
Last but not least lauern die Dividenden als virtuelle Karotte im Raum. Jene Gewinnanteile, die zuerst Covid-19 Hilfeempfängern de facto verboten, dann einer bestimmten Gruppe an Unternehmen aber sehr wohl gestattet, anderen gleichzeitig als vielleicht künftig wieder auszahlbar versprochen, aber bis zur Umsetzung noch mit großen Fragezeichen behaftet, im Kapitalmarktraum schweben. Gemüse-Allergie ante portas.
Kein Wunder, dass sich die Kapitalmarktteilnehmer immer wieder gefoppt fühlen, wenn sie von einer Ecke in die andere gehetzt werden ohne dass sich dabei wirklich etwas ändert. Die Angst davor, am Ende am falschen Fuß übrig zu bleiben ist evident und durchaus verständlich. Jeder der sich in der Situation befunden hat, zur Unzeit gekauft, oder verkauft zu haben, weiß wovon ich spreche. Und das, was dabei immer droht, ist die dekursive (Berechnung im Nachhinein) Intelligenz der Anderen, nämlich nach dieser Entwicklung zu reussieren ob es denn wirklich unbedingt notwendig gewesen wäre „vorher“ noch zu kaufen oder zu verkaufen.
Die Biologie hilft da auf die Sprünge, denn für Pferde liegt der Reiz von „Karotten“ in ihrer Seltenheit, nicht ihrem Nährwert.