11.08.2020

Perception ist Verhaltensmuster



Die Berichtssaison an den Kapitalmärkten ist einmal vorbei. Das Halbjahr - und was für ein Halbjahr das war - ist in Zahlen gegossen. Die AnalystInnen und KommentatorInnen (ich weiß, Gender …) haben gerechnet, gesprochen und abgelegt. Die InvestorInnen haben reagiert und die Börsen haben sich entsprechend bewegt. Meint man. Auffällig ist dabei aber, dass diese Entwicklungen aus ganz unterschiedlichen Richtungen und Daseinszuständen zustande gekommen sind.

So fällt es im Nachhinein auf, dass gerade in USA die Erwartungen vor den Zahlen enorm tief lagen. Nahezu alle Unternehmen hatten vorab in Moll getönt, die AnalystInnen damit angesteckt, die Erwartungen auf Bodennähe justiert, um danach ihre eigenen Schätzungen locker zu übertreffen. Heureka! 82% aller in USA gelisteten Unternehmen haben dadurch die (zumeist eigenen) Zahlen geschlagen. In Europa waren es gerade mal knapp 60%, in Österreich gefühlt 50% (in einem so kleinen Markt ist Statistik immer ein Ritt auf der Rasierklinge). Die Performance der jeweiligen Märkte wurde aber durchaus durch diese „Überraschungseffekte“ bestimmt. US-Börsen liegen besser als Europa. Trotz Covid-19 Blamagen am laufenden Band. Natürlich weil die Unternehmen ja besser sind, oder? Die Gewinnraten „beweisen“ es ja. Und Covid-19 ist ja auch nur ein Geschäftsmodell geworden nachdem gerade Kalifornien jedem Erkrankten 1250 US$ an Sozialleistung verspricht. Man denkt gleich an Obdachlose, die sich da ihr karges Leben vor den Spitälern aufbessern. „Geh bitte huste mich mal kurz an“.

Eigentlich müsste man sich fragen, was mit Firmen los ist, die ihr eigenes Geschäft so schlecht verstehen, dass sie sich dermaßen verschätzen. Tut man aber nicht. Eigentlich müsste man jenen, die punktgenau gelandet sind, ein Quantum Extravertrauen zubilligen. Tut man auch nicht. Sie haben ja zumeist „nur“ geliefert, nicht übertroffen. Sind unsere Börsen mittlerweile wirklich so oberflächlich geworden, dass es egal ist, woher? Hauptsache „Wachstum“?

Indizien, die auf eine steigende Oberflächlichkeit im Börsenalltag deuten, gab und gibt es ja schon immer. Die Absurditäten werden derzeit aber mehr. Brandaktuelles Beispiel ist ein deutsches, ebendort börsennotiertes, Unternehmen dessen schon länger von der FDA zugelassenes Produkt gegen Aktinische Keratose (eine Vorstufe zum weißen Hautkrebs) zum Mittelpunkt unfassbar anmutender Kurskapriolen wurde. Um seinen US-Investoren näher zu sein, hatte diese Firma so genannte ADRs in USA zugelassen. Das sind einfach gesagt, nur für den US-Markt reservierte Aktien, die auch nur in USA gehandelt werden und zumeist aus jeweils einem Paket von zwei Originalaktien bestehen. Der Kurs eines solchen ADRs entspricht daher grosso modo dem Kurs von zwei Originalaktien in US-$. Bei obiger deutschen Aktie lief das die letzten Jahre auch genauso ab, bis Donnerstag letzter Woche. Da empfahl „Robin Hood“, ein selbsternannter Börsenguru, der sein Glück davor als Influencer auf diversesten Internetplattformen erreicht hatte und nun sein Massenpublikum seit Monaten mit Kursempfehlungen bereichert, diese Aktie zum Kauf. Begründung: sie hat den Hautkrebs besiegt. Mag für Randbereiche des Hautkrebs‘ vielleicht stimmen, als Pauschalempfehlung ist das aber falsch. Trotzdem egal. Von einem errechneten Wert von 5,60 US$ stieg das ADR binnen Stunden auf 55 US$. Die Marktkapitalisierung der Aktie schoss geradezu über die Milliardengrenze und während sich die Profis am Kopf kratzten und auf den Aufschrei eines Investors warteten, der sich in seiner Order um zumindest eine Dezimale vertan hatte und daher den Kursanstieg verursacht hätte, kletterte der Kurs, getragen von tausenden Orders, munter weiter. Nun, heute, knapp eine Woche danach liegt der Kurs noch immer, inzwischen „nur mehr“ doppelt so hoch wie das Original, im absurden Niveau.

Was ich damit zeigen möchte ist weniger, die Absurdität an sich, sondern die Dauer, die sie bestehen kann. Es ist offensichtlich egal geworden, warum ein Wert steigt. Es hinterfragt dies in Wirklichkeit kaum jemand, man nimmt den Kurs als das was er offensichtlich ist, eine Zahl. Who cares? Alles nur „ein Spiel“, weil Robin Hood hat inzwischen schon wieder 20 andere Aktien erkoren. Und wenn ein selbsternannter Schulabbrecher das kann, wieso dann irgendwelchen Unternehmenszahlen glauben? Braucht man alles doch nicht, oder?

Wird schon nicht so sein. Die Ratio ist langlebiger als man denkt, denn die vielgescholtene Gier ist ihr Leibwächter. Auch wenn Gier in Wirklichkeit nichts anderes ist, als der Wille, sich durch Aufmerksamkeit, Fleiß und / oder Nachdenken vorher über ein Investments sicher zu sein, bevor die Masse zum selben Urteil gelangt. Und der Bruder der Gier, die Angst, die dafür sorgt, sich auch ernsthaft mit der Analyse zu beschäftigen weil man ja sonst etwas verlieren könnte, die wird gerade durch andere Verhaltensmuster ersetzt.



11.08.2020

Perception ist Verhaltensmuster



Die Berichtssaison an den Kapitalmärkten ist einmal vorbei. Das Halbjahr - und was für ein Halbjahr das war - ist in Zahlen gegossen. Die AnalystInnen und KommentatorInnen (ich weiß, Gender …) haben gerechnet, gesprochen und abgelegt. Die InvestorInnen haben reagiert und die Börsen haben sich entsprechend bewegt. Meint man. Auffällig ist dabei aber, dass diese Entwicklungen aus ganz unterschiedlichen Richtungen und Daseinszuständen zustande gekommen sind.

So fällt es im Nachhinein auf, dass gerade in USA die Erwartungen vor den Zahlen enorm tief lagen. Nahezu alle Unternehmen hatten vorab in Moll getönt, die AnalystInnen damit angesteckt, die Erwartungen auf Bodennähe justiert, um danach ihre eigenen Schätzungen locker zu übertreffen. Heureka! 82% aller in USA gelisteten Unternehmen haben dadurch die (zumeist eigenen) Zahlen geschlagen. In Europa waren es gerade mal knapp 60%, in Österreich gefühlt 50% (in einem so kleinen Markt ist Statistik immer ein Ritt auf der Rasierklinge). Die Performance der jeweiligen Märkte wurde aber durchaus durch diese „Überraschungseffekte“ bestimmt. US-Börsen liegen besser als Europa. Trotz Covid-19 Blamagen am laufenden Band. Natürlich weil die Unternehmen ja besser sind, oder? Die Gewinnraten „beweisen“ es ja. Und Covid-19 ist ja auch nur ein Geschäftsmodell geworden nachdem gerade Kalifornien jedem Erkrankten 1250 US$ an Sozialleistung verspricht. Man denkt gleich an Obdachlose, die sich da ihr karges Leben vor den Spitälern aufbessern. „Geh bitte huste mich mal kurz an“.

Eigentlich müsste man sich fragen, was mit Firmen los ist, die ihr eigenes Geschäft so schlecht verstehen, dass sie sich dermaßen verschätzen. Tut man aber nicht. Eigentlich müsste man jenen, die punktgenau gelandet sind, ein Quantum Extravertrauen zubilligen. Tut man auch nicht. Sie haben ja zumeist „nur“ geliefert, nicht übertroffen. Sind unsere Börsen mittlerweile wirklich so oberflächlich geworden, dass es egal ist, woher? Hauptsache „Wachstum“?

Indizien, die auf eine steigende Oberflächlichkeit im Börsenalltag deuten, gab und gibt es ja schon immer. Die Absurditäten werden derzeit aber mehr. Brandaktuelles Beispiel ist ein deutsches, ebendort börsennotiertes, Unternehmen dessen schon länger von der FDA zugelassenes Produkt gegen Aktinische Keratose (eine Vorstufe zum weißen Hautkrebs) zum Mittelpunkt unfassbar anmutender Kurskapriolen wurde. Um seinen US-Investoren näher zu sein, hatte diese Firma so genannte ADRs in USA zugelassen. Das sind einfach gesagt, nur für den US-Markt reservierte Aktien, die auch nur in USA gehandelt werden und zumeist aus jeweils einem Paket von zwei Originalaktien bestehen. Der Kurs eines solchen ADRs entspricht daher grosso modo dem Kurs von zwei Originalaktien in US-$. Bei obiger deutschen Aktie lief das die letzten Jahre auch genauso ab, bis Donnerstag letzter Woche. Da empfahl „Robin Hood“, ein selbsternannter Börsenguru, der sein Glück davor als Influencer auf diversesten Internetplattformen erreicht hatte und nun sein Massenpublikum seit Monaten mit Kursempfehlungen bereichert, diese Aktie zum Kauf. Begründung: sie hat den Hautkrebs besiegt. Mag für Randbereiche des Hautkrebs‘ vielleicht stimmen, als Pauschalempfehlung ist das aber falsch. Trotzdem egal. Von einem errechneten Wert von 5,60 US$ stieg das ADR binnen Stunden auf 55 US$. Die Marktkapitalisierung der Aktie schoss geradezu über die Milliardengrenze und während sich die Profis am Kopf kratzten und auf den Aufschrei eines Investors warteten, der sich in seiner Order um zumindest eine Dezimale vertan hatte und daher den Kursanstieg verursacht hätte, kletterte der Kurs, getragen von tausenden Orders, munter weiter. Nun, heute, knapp eine Woche danach liegt der Kurs noch immer, inzwischen „nur mehr“ doppelt so hoch wie das Original, im absurden Niveau.

Was ich damit zeigen möchte ist weniger, die Absurdität an sich, sondern die Dauer, die sie bestehen kann. Es ist offensichtlich egal geworden, warum ein Wert steigt. Es hinterfragt dies in Wirklichkeit kaum jemand, man nimmt den Kurs als das was er offensichtlich ist, eine Zahl. Who cares? Alles nur „ein Spiel“, weil Robin Hood hat inzwischen schon wieder 20 andere Aktien erkoren. Und wenn ein selbsternannter Schulabbrecher das kann, wieso dann irgendwelchen Unternehmenszahlen glauben? Braucht man alles doch nicht, oder?

Wird schon nicht so sein. Die Ratio ist langlebiger als man denkt, denn die vielgescholtene Gier ist ihr Leibwächter. Auch wenn Gier in Wirklichkeit nichts anderes ist, als der Wille, sich durch Aufmerksamkeit, Fleiß und / oder Nachdenken vorher über ein Investments sicher zu sein, bevor die Masse zum selben Urteil gelangt. Und der Bruder der Gier, die Angst, die dafür sorgt, sich auch ernsthaft mit der Analyse zu beschäftigen weil man ja sonst etwas verlieren könnte, die wird gerade durch andere Verhaltensmuster ersetzt.