Selbstbewusste Lämmer
Wir sind bereits in statistischem Neuland angekommen. Noch nie war die Divergenz in der Performance zwischen Europa und den USA so lange so weit zu Gunsten der USA präsent. Immer gab es die eine oder andere Gegenwelle der Vernunft oder der Angst, die eine gewisse Konvergenz dieser beiden Kapitalmarktkontinente bewirkte. Diesmal ist es anders. Die USA wird mit Wonne höher und höher gewichtet während Europas Aktienmärkte fast schon zu reinen Tradingplattformen oder zur Leerverkaufsgrundausbildung von Hedgefondslehrlingen verkommen.
Der Wunsch nach der schnellen und pauschalen Begründung liegt den Märkten in solchen Phasen sehr nahe. Es muss ja etwas dermaßen Offensichtliches passiert sein, sonst wäre es ja nicht so eklatant klar, dass man in den USA besser positioniert ist, als in europäischen Value Stocks. Diese Begründungen stoßen sehr rasch in Richtung „Politisches Risiko in Europa“, „Brexit“ oder „Italien“, und wenn das alles nichts nutzt, dann hilft sicher „Russland“, „Putin“ oder „Türkei“ als unterstützendes Argument. In den USA hingegen versammelt sich das gesamte Argumentarium hinter zwei Effekten: der Präsenz eines Präsidenten, der gewillt ist alles zu tun um die Vorwahlen im November zu gewinnen und dessen Mittel - offensichtlich straffrei und moralbefreit - von Corporate USA gerne aufgenommen werden und der nackten Tatsache, dass man gerne kauft, was länger schon gestiegen ist einfach weil man glaubt, dass das dann weiter steigt. Ursachenforschung sekundär. Erinnerung ans Casino. Stichwort: auf 5x Rot kommt sicher Rot.
Die strukturellen Unterschiede beider Kapitalmarktkontinente sprechen natürlich auch ein Wort in der Argumentation mit, wirken aber derzeit nicht prioritär. Da wäre naturgemäß der höhere Technologie-Anteil in den USA, während hier 22% Indexgewicht liegen sind es in Europa gerade 5%. Oder die in Europa äquivalent höhere Bankengewichtung von rund 20%. In USA ist es gerade mal die Hälfte. Auch ist der Anteil von so genannten Wachstumsaktien in den USA deutlich höher, in Europa sind mehr die „Value-Aktien“ präsent die mit hoher Dividendenrendite, oder tiefen Buchwertverhältnissen oder Kurs/Gewinnverhältnissen zu glänzen versuchen während in USA einzig das erwartete Gewinnwachstum zählt. Somit wird jeder der glaubt, dass es einfach ohne Alternative wichtig ist in globale Handelsplattformen, Internetgiganten oder Smartphone für Alles investiert zu sein auch nur in diese Welten investieren wollen. Value kommt schon irgendwann später heraus. Zwischen supergefährlich und weit vorausschauend spannt sich die Urteilsbandbreite.
Während wir uns in Europa gerade mit Brexit und Italien herummühen (die Hoffnung auf die entspannende Wirkung des Oktoberfestes beruhigt vorerst die Sorgen vor Deutschlands Polit-Masochismus) erkennt man in den Mitgliedsstaaten kaum eine wirklich vernünftige bzw. überhaupt vorhandene Kapitalmarktpolitik. Eigentlich unfassbar, denn einen fruchtbareren und gepflügteren Polit-Acker wie diesen gab und gibt es schon seit Jahrzehnten nicht. Auch das ein statistisches Novum. Die Politik hat dieses Thema, das nachweislich eines der Kernfaktoren zukünftiger Prosperität und Sicherheit jeden Staates ist, komplett ausgeblendet. De facto alles seit Jahren der EZB überlassen. Sämtliche Verantwortung für die vor Wahlen so ach schutzbedürftigen Wähler im Nebel irgendwelcher Stammtischanalysen über Flüchtlinge oder den Schmutz von Nebenan über den Haufen der Verantwortungslosigkeit geschmissen nur um sich danach nur mehr ums Verwalten und Absichern der gewonnenen Position zu bemühen. Angesichts der offensichtlichen Wonne mit der man globale industrielle Vorsprünge bei Automobil, Automatisation, oder Energieindustrie mittlerweile blockiert und somit verkommen lässt während die globalen Giganten aus Internet, Warenverkehr, Cloud und Social Media ungetrübt in unseren Wirtschaftsräumen toben dürfen fragt man sich echt was denn wirklich die Motivation hinter dem Ganzen ist.
In Europa gibt es die Pisa Studie die regelmäßig prüft wie gut oder schlecht die Bildung in den jeweiligen Staaten ist. Man macht das anhand von Tests, an Schulen. Nun, ich beantrage einen Test in sämtlichen europäischen Parlamenten durchzuführen, die korrekte Rechtsschreibung (natürlich in der jeweiligen Sprache) von „Dividendenrendite“, „Buchwertverhältnis“ und „freier Cash Flow“ zu prüfen (schwierig weil man muss es quasi auf Band vorsprechen sonst wär‘s ja zu einfach). Sonderpunkte gibt es für Jene die die Begriffe auch richtig erklären können.
Vermutung: Bleibt sicher Science Fiction, weil Sinn macht es nur wenn man die Ergebnisse veröffentlichen würde. Und daran wird’s scheitern.