Momentum auf neuen Wegen …
Der Begriff „Momentum“ ist an den Kapitalmärkten nichts anderes als eine technisch unterstützte Variable, die die Entwicklung von Märkten beschreibt. Sie besteht in erster Linie aus der Preisdifferenz zweier Kurse und misst deren Ansteigen oder Absteigen. Daraus leitet man entsprechende Kauf- oder Verkaufsanreize ab (oder auch nicht). In jedem Fall ist es aber ein allseits toleriertes Informationsmaß für den generellen Zustand von Märkten. Nun, in diesen Wochen ist das Momentum globaler Märkte zueinander auf Neuland gestoßen. So wie jetzt war es noch nie.
Die Rede ist von Aktien in USA vs. Europa vs. Emerging Markets. In den letzten 20 Jahren gab es nie eine solche Divergenz wie aktuell. Es war immer ein gewisser Gleichlauf zwischen zumindest zweien dieser Märkte vorhanden, zumeist waren sich Europa und die USA im Trend einig, gerade zwei Mal liefen diese Bewegungen kurz auseinander. So ein deutliches Davonlaufen der USA gegen den Rest der Welt wie die letzten Wochen und Monate, das ist neu.
Die Ursachenfindung ist naturgemäß eine heikle Sache, denn kaum ein einzelner Indikator alleine kann ein solch globales Ungleichgewicht erklären, vielleicht tun es aber einige Faktoren miteinander:
Da ist einmal das politische Sentiment. Auf der einen Seite eine lautstark um „Gerechtigkeit“ polternde USA, die so manches Detail in ihrer Argumentation bewusst vergisst und somit das ökonomische Ungleichgewicht am Globus riskiert. Gleichzeitig bieten die Emerging Markets kaum das laute Gegengewicht zu den USA. Es liegt einfach nicht im Verhalten von Japan, China oder gar Indonesien lautstark Weltpolitik zu betreiben. Verhandeln oder stille Übereinkunft trifft schon mehr deren Kern. Bei öffentlicher Wahrnehmung daher die USA im Vorteil. Für Europas Politik dagegen gilt, dass diese sich scheinbar sowieso global ausgeklinkt hat und aktuell mehr mit den ihr angehängten Krisen wie Dieselgate, Flüchtlinge, Italien oder Russland zu tun hat.
Da ist aber auch das unterschiedliche Kapitalmarktverhalten, das das Momentum divergieren lässt. Die Steuergeschenke einer Trump Administration wurden überwiegend in Aktienrückkäufe investiert. Das weiß man inzwischen. Die benötigten Investitionen in Infrastruktur und Innovationen oder einfach Schuldentilgung waren es definitiv nicht. Schon gar nicht die Entlastung der ärmeren Bevölkerungsschichten. Dagegen ist der US-$ durch diese Vorgänge gestiegen und das hat den anderen beiden Regionen unterschiedlich aber generell wehgetan.
Der dritte Effekt ist, dass insbesondere in Europa eine regulatorische Welle verspürt wird, die neben einigen Sektoren wie Banken und Versicherern, zuletzt auch die Kapitalmärkte selbst erreicht hatte, die sich nach wie vor nicht davon erholen konnten. Die Rede ist von MiFID II, die ja ursprünglich zum Schutz der Kleinen und entrechteten Wertpapierkunden gedacht und erfunden wurde, inzwischen aber ganze Marktsegmente, insbesondere im Bereich der kleineren Aktien lähmt, deren Kurse deutlich negativ beeinflusst und zusätzlich die Volatilität befeuert, da in Folge auch die Marktliquidität in diesen Segmenten stark zurückgegangen ist. Ein sicher unerwarteter und unerwünschter Effekt, denn auch Liquidität dient dem Schutz von Anlegern.
Was nun die einzige Antwort auf die Momentum-Divergenz ist, kann man klarerweise nicht exakt formulieren, einzig, dass es zu einer Anpassung an das historische Muster geben wird müssen. Es kann nicht sein, dass der Rest der Welt leidet und nur eine Region profitiert. So etwas gleicht sich immer aus. Bevor man nun die Möglichkeit erwägt, dass am Ende alle leiden, noch eine Tatsache in die Conclusio geworfen: Die letzten beiden Male als die Unternehmensverschuldung relativ zum BIP in USA so hoch war wie jetzt (nachdem die Unternehmen wenig Kredite zurückgeführt und einfach mehr Aktien zurückgekauft haben ist dies aktuell wieder der Fall) trat die USA kurz danach in eine Rezession ein. 2001 und 2008 sind uns vielleicht aus anderen „Bubbles“ heraus in Erinnerung, Unternehmensverschuldung war aber auch damals ein Faktor.