Trennungsschmerzen
Viele haben gewettert, gedroht, geklagt, sich ergeben, gehofft, kommentiert, gejubelt oder sich einfach in lässiger Teilnahmslosigkeit geübt, um nur rechtzeitig den einen oder anderen Effekt als „immerschongewusst“ zu kommentieren, aber Mario Draghis Notenbankpolitik hat die letzten Jahre kaum Jemanden unberührt gelassen. Nun, damit ist bald Schluss, weil der Gute in Pension geht und sich diese Politik davor auch ändern wird müssen.
Dafür gibt es natürlich viele Gründe, die wir ja ohnehin alle kennen: Konjunkturwachstum, nachlassende Regulierungsnotwendigkeiten bei gleichbleibendem regulatorischen Investitionszwängen, politische Selbsterkenntnis, geopolitischer Gleichlauf, Inflation am Globus im Anstieg und last but not least Einverständnis unter den Notenbanken selbst. Die Frage ist nur wie und wie rasch.
Die Rentenmärkte haben da relativ wenig Zeitverständnis. Die am besten global vernetzte Asset Klasse wird gerade aus den USA heraus ziemlich resch bewegt. Dort hat die FED bereits mit der Umsetzung ihrer Rückzugspolitik begonnen und der Markt richtet sich darauf aus. Renditen steigen und inzwischen bewegt sich sogar die gesamte US-Zinskurve aus, sie wird steiler. Ein Anzeichen, dass man doch an die positiven Wirkungen der zuletzt geäußerten wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu glauben beginnt. Europa und der Rest der Welt wird sich da nicht nur Hintanstellen, sondern auch beginnen müssen, selbst einen Weg in die gleiche Richtung zu finden. Sichtbar ist dieser Druck auch in Europa in Richtung einer Veränderung der Zinskurve, wo zuletzt in Deutschland die fünfjährigen Bonds die Null-Renditelinie schnuppern durften, und auch in der Schweiz schafften es die 10-Jährigen die Jahrhundertbürde Negativrendite abzuschütteln. All dies ein Weg der gut ist, weil er von Konjunkturwachstum und der Erwartung langsam aber doch steigenden Inflationsraten getragen ist. So bewegt man sich in die richtige Richtung, in ein paar Jahren wieder „normale“ Verhältnisse geschaffen zu haben in denen Aktien und Anleihen im risikoadjustierten Bewertungsmodus gegeneinander laufen und nicht als augmented Reality-Experimente die Fantasie von Analysten und Volkswirten zu strapazieren. Also wird es auch für die Notenbanker Zeit, sich damit auseinander zu setzen, die vor Jahren festgezurrten Einlagensätze zu überdenken und zu lockern. Die -0,4% der EZB wirken inzwischen deutlich antiquiert. Die Forward Rate Kurven der „Eurobonds“ sprechen bereits eine deutliche Sprache: der Markt erwartet heuer ein gravierendes Aufweichen dieser Zinssätze.
Nun, für die Aktien ist dies noch lange keine echte Bedrohung. Sie haben sich ja nie wirklich vom Regulator geschützt fühlen dürfen und waren dadurch immer den rauen Stürmen internationaler Asset Manager ausgesetzt. Natürlich war der Geldfluss der Notenbanken das eine oder andere Mal ein Rückenwind, weil manche Investoren ihre Bondverkäufe an FED & Co noch ohne regulatorischen Knebel frei investieren durften - was für ein Luxus - , aber in Summe spielte der reine Geldfluss einer EZB in Europa kaum eine direkte Rolle, denn wie man sieht, liegen die Bewertungen hierzulande sogar noch immer unter dem historischen Durchschnitt. Man investierte, weil es bessere Chancen bei Aktien gibt, als bei Bonds. Und das ist einem volkswirtschaftlichen und konjunkturellen Effekt geschuldet, nicht einem Hochwasserstand im Cashportfolio.
Was sich an den Aktienmärkten jetzt ändern wird, ist die Betrachtung einiger Sektoren. Eben weil sich deren Zinsumfeld ändert. Hier wird es jetzt schon „normal“. Also Versorger, stark refinanzierungsorientierte Immobilienaktien, Banken, Versicherungen, bis hin zu neu verschuldeten Expansionswilligen. Die Frage nach der Refinanzierung wird sich daher immer häufiger stellen. So lange aber die Dividendenrenditen noch über den jeweiligen Bondrenditen liegen, und das sind noch immer mehr als 2% (!!) wird es eine Art philosophisches Thema bleiben. Die Aufmerksamkeiten richten sich aber bereits darauf aus.
Das alles sind sehr frühe Beobachtungen und Gedanken, die zu einer generellen Vorbereitung auf spätere Normalisierungen führen, aber die Beschäftigung mit den jeweiligen Geschäftsmodellen und Abhängigkeiten innerhalb dieses erwarteten Wandels werden das heurige Jahr stärker prägen als noch 2017. Ganz einfach, weil wir es uns vorstellen können und mittlerweile auch vorstellen wollen.