Not amused by the deadline
Der 15. Dezember wird heuer ein interessanter Tag dies- und jenseits des Ärmelkanals. Die Brexit-Verhandlungen zwischen UK und EU müssen an diesem Tag über die erste Stufe entschieden sein. Diese Stufe entscheidet über die beiderseitigen Finanzzugeständnisse, Bürgerrechte und die Grenzbehandlung in Irland. Später folgt dann Stufe zwei, in der es um die jeweiligen Handelsrechte geht. Gibt es keine Stufe eins, geht es in Richtung „Hard Exit“. Am 30.3.2018 wäre dann Schluss, dann würde der Strich gezogen. Selten gab es eine bilaterale Verhandlung, die seit ihrem Entstehen vor 17 Monaten dermaßen konstant an Öffentlichkeit verloren hat und doch in ihrer Brisanz Jeden berührt.
Die Fakten liegen auf der Hand: 51,6% der Briten wollen aus der EU heraus und 100% der Briten wollen dafür nix zahlen. Über die paar unbeglichenen Rechnungen von UK gegenüber der EU sollte man am besten gar nicht mehr sprechen. Viel lieber sind bei den britischen Vertretern Themen wie Zollgrenzen oder Ausweisen von Ausländern auf der Agenda dieser Verhandlungsgespräche. Das bringt Stimmen. Für die EU und vor Allem für UK wird der 15. Dezember aber ein aus vielerlei Hinsicht wichtiger Termin. Es geht um die generelle Glaubwürdigkeit als Gemeinschaft bzw. Staat.
Der Grundsatz jeden Rechtssystems ist die Berechenbarkeit. Auf Basis von Recht und Gesetz entstehen Verhaltensnormen, die das tägliche Leben risikoloser gestalten sollen (sofern man sich daran hält). Sich auf Recht und Gesetz zu berufen muss Konsequenzen haben um den rechtlichen Status Quo wieder herstellen zu können. Wenn nicht, gibt’s über kurz oder lang so etwas wie Anarchie. Nun, UK und die EU haben ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten verankert. Jeder weiß davon und jeder sollte sich darauf verlassen können, dass sie auch eingehalten werden. Aus dieser Sicht (und für Viele NUR aus dieser Sicht) hat UK jetzt die größeren Probleme.
Diese Probleme sind 1. pekuniärer Natur, denn rd. 60 Mrd. Euro an Forderungen gegen UK liegen in der EU am Konto, wogegen die EU erst später die seitens UK fehlenden Beiträge gegen ihre anderen Mitglieder ausbalancieren muss. 2. Finanzrechtlicher Natur, denn mit dem Austritt fällt auch das UK-freundliche Finanzverständnis der EU weg. Der liberale Finanzplatz London darf dann nicht mehr mit dem EU-Finanzpass hausieren gehen, sondern hat sich wie alle anderen non EUs um Genehmigung zu bemühen. 3. Völkerrechtlicher Natur, wie man am Beispiel Nordirlands (UK) und Irlands (EU) vor Augen geführt bekommt (die polnischen Installateure in London bekommen dagegen sicher eine Ausnahmeregelung).
Eigentlich kann ans Ende gedacht Keiner der beiden den Brexit so richtig wollen, aber Wahl ist Wahl und da muss man jetzt irgendwie durch. Also „Irgendwie“. Das Verständnis liegt entsprechend nahe, dass am 15.12. vielleicht doch irgendein Kompromiss ins Leben gerufen werden wird. Ob es die Absage des Brexit überhaupt geben kann, steht zwar in heftigstem Zweifel, aber so eine Art Soft-Exit könnte schon erwogen werden, vielleicht begleitet von irgendeiner erneuten Volksabstimmung, wer weiß das schon. In jedem Fall erscheint UK aber als echter Verlierer jedweder Entscheidung, denn ob Hard, oder Soft, das Rechtsverständnis muss obsiegen und die Taktik der letzten Jahrzehnte, sich auf dem Rücken der EU, mit hohen Freiheiten gesegnet, durch die Wirtschaftszyklen zu bewegen wird es nicht mehr geben. Dass die EU hier vielleicht den einen oder anderen Kompromiss an die Luft Brüssels entlässt ist schon vorstellbar, aber es wird am Ende das Miteinander von UK in der EU mehr erzwingen als zuvor, denn ein Kompromiss ist nur vorstellbar, wenn die bisherigen Rechte an jene der EU angenähert oder gleichgestellt werden.
Das alles wusste man eigentlich schon vor der Wahl in Great Britain. Dass die WählerInnen schamlos belogen werden durften, rächt sich mittlerweile zum x-ten Male. Konsequenzen gab es vordergründig noch überraschend wenige. Unter diesem Blickwinkel hat der 15.12. aber eine zusätzliche Funktion, die Sanierung von Wahlversprechen. Dem Entkeimen politischer Lügen und deren veröffentlichter Verfehlung. Die Kapitalmärkte sind naturgemäß wieder Spielball und Ort der Bewertung solcher Prozesse: Sie haben ja auch bereits im Vorfeld mit der Unlogik und der widersinnigen Argumentation zu tun gehabt und entsprechend reagiert. Jetzt sind sie gefragt, die Aufarbeitung und die Offenbarungseide zu bewerten.