Die Reise nach Jerusalem
Zuletzt wurden die Bullen weniger laut, und die Bären haben begonnen sich grummelnd ihre Höhle für den Winterschlaf zu richten. Polarisierung der Lager weicht gemeinsamer Erkenntnis. Die Erkenntnis, dass es Europa besser geht als gedacht, dass man da auf jeden Fall „dabei“ sein muss, aber mit wieviel und womit genau, das wird wieder hinterfragt.
An den Börsen erkennt man das am hektischen Hin und Her wenn irgendwelche Nebensätze von Gesellschaften ganze Branchen in Unruhe bringen. Dann werden Interpretationen den harten Fakten vorgezogen, und die Märkte bewegen sich wieder. Das Kinderspiel „Die Reise nach Jerusalem“ ähnelt diesem Prozess. Wir kennen ja das Antäuschen beim Hinsetzen, die hohe Aufmerksamkeit auf jede Reaktion bis zum Stillstand der Musik. Wer dann nicht fest sitzt, hat … den Ausstieg aus den Märkten verpasst. Oder den Einstieg, wer weiß.
Wer also, wenn eine Ericsson 14% fällt, gleich Nokia mit in den Topf wirft, der übersieht, dass die beiden zwar im ähnlichen Business, aber von unterschiedlichen Prozessen beeinflusst sind. Des einen Leid, des anderen Freud. Alle lachen, weil falsch hingesetzt. Genauso die Reaktion auf die Verkäufe im Bondmarkt vor Kurzem. Wer dachte, die EZB würde die Renditen unkontrolliert steigen lassen, der irrte. Nach zwei Tagen war der Spuk vorbei, und jetzt „freuen“ sich alle Anleihebesitzer sogar darüber, dass der ZEW Index in Deutschland nicht gar so toll steigt, wie erwartet (weil da wird die EZB ihre Bondkäufe erst recht nicht stoppen, eh klar).
Als dritter Spieler im Bunde tritt wieder einmal der US-Dollar auf die Bühne. Der Bruch der charttechnisch bedeutsamen Linie von 1,15 zum Euro hat den Greenback-Verfall beschleunigt und lässt Analysten wie Investoren darüber nachdenken, wann jetzt die 1,20 fallen werden und ob sich Europas Exportindustrie jemals wieder von diesem Schock erholen wird können. Es ist eben Sommer und da entwickeln sich Emotionen und Fundamentals manchmal indirekt proportional zueinander.
Ein kommender Event wird uns diese Woche sicher auch noch interessante Interpretationen liefern können: Griechenland kommt an die Finanzmärkte zurück. Nein, nicht wie vereinbart mit Privatisierungen, die sind zum Teil schon hinter den Bühnen arrangiert worden und wie interessant, mit überwiegend griechischen Investoren, Nachtigall …, sondern mit Bonds. Spannend deshalb, weil dieses Land ja von der EU 2011 ohne den so oft davor gepriesenen Regenschirm in den so ziemlich schlimmsten Hagel entlassen wurde. Einen Tag nachdem die EU noch „alle Staaten der EU sind gleichwertig und somit auch ihre Schulden“ im Herzen „Macht euch keine Sorgen“ propagierte, riss der 70% Haircut der griechischen Staatsanleihen ein Riesenloch in den Boden der Glaubwürdigkeit und machte Griechenland zum Loser für so ziemlich Alles. Aber jetzt kommt Hellas wieder zurück. Übersäht mit Pflastern und noch immer nicht geheilt, aber griechische Bonds werden wieder Realität. Wird spannend zu sehen wie und ob sich die Erinnerungen an „damals“ ins Verhalten der Bondinvestoren gebrannt haben.
Wir kennen sie ja, die Fantasie über den Hebel des Archimedes. Der muss wie wir wissen ja nur lange genug sein um die Welt aus den Angeln zu heben. Derzeit hebelt halt jeder auf seine Art herum nur um am Ende festzustellen, dass für einen guten Hebelansatz auch ein ruhiger Fixpunkt vonnöten ist. Und den gibt’s halt an den Finanzmärkten üblicherweise und jetzt im Sommer schon gar nicht.