Die Börse und der Wahlkampf
Wenn man einigen großen US-Wertpapierhäusern zuhört, wie sie über Europa und seine Branchen und diesbezügliche Politik befinden, dann wird man einigermaßen nachdenklich. Im „Land of the Brave“ ist man es ja gewohnt eine klare Sprache zu sprechen und die Dinge bis auf den Grund zu analysieren, insbesondere, wenn es sich um die Probleme Anderer handelt, aber so klar und deutlich war es schon lange nicht der Fall. Konkret betrifft es drei Branchen: Versorger, Telekommunikation und Energie.
Die US-Sicht ist easy, weil durch billige Energie und wenig Wettbewerb bei Telekommunikation geprägt. Der kritische Blick auf Europa fällt einem da leicht. Als Ergebnis haben obige drei Branchen aus US-Sicht keine Chance: Versorger werden täglich auf der Opferbank der ökologisch reinen Energie via sinkende Strompreise zur Ader gelassen. Telekommunikation wird zur einseitigen Geschäftsbasis für kleine Unternehmen, die sich fast gratis auf die Netze der Großen setzen dürfen, und Energie aus herkömmlichem Erdöl ist ohnehin ein Relikt aus der guten alten Zeit als es Schiefer-Öl noch nicht gab. Schöne und einfache Welt.
Trotz aller Kritik an einer zu oberflächlichen Analyse gibt es doch einige gute Seiten dieser auf den ersten Blick schäbig wirkenden Medaille: Zum Beispiel weckt sie hoffentlich Europas Politik ein wenig auf. Gerade in Wahlkampfzeiten sind radikale Änderungen ja nahezu denkunmöglich, weil ja jeder mündige oder sonstige Wähler noch rasch umworben werden muss, aber ein wenig Wahrheit tut der Sache vielleicht doch gut. Was wahr ist, ist nämlich, dass unsere Energieversorger gerade den „Long way down“ gehen. Nicht, weil sie so schlecht gemanagt haben, sondern weil ihnen die alternativen Energiequellen aufgrund deren angeordneter Priorisierung die Umsätze klauen. Wir fördern alternative Energien im Wind und Solarbereich, aber bezahlen tun wir es alle über die monatliche Stromrechnung. Da schenkt uns niemand etwas. Jeder, der sich diese Belastung genauer ansieht, wird dies hinter den teilweise kreativ anmutenden Bezeichnungen erkennen. Die herkömmlichen Kraftwerke werden währenddessen in der Produktionskette hinten angereiht und produzieren oftmals ins Leere. Teufelskreis. Aber sollte mal keine Sonne scheinen oder kein Wind wehen, dann muss die Versorgungssicherheit sehr wohl gewährleistet sein. Es fällt schwer, in einem solchen Umfeld von Marktwirtschaft zu sprechen.
Ähnlich bei Telekommunikation: Die Roaming-Gebühren sollen europaweit fallen. Wunderbar! Endlich wird der Call nach Jesolo billiger und der You-Tube Download im Urlaub zum täglich geübten, weil preiswerten Vergnügen. Übersehen wird dabei nur geflissentlich, dass, wenn man kein Geld verdienen kann auch niemand investieren wird. Kein Netzausbau, keine Breitbandmöglichkeiten, kein Smartphones zum Sondertarif. Ups. Und die möglicherweise politisch angedachte Investitionsverpflichtung wird auch nicht funktionieren, weil kaum ein Telco noch über Staatsmehrheiten verfügt.
Ein fast schon irrwitzig anmutendes Gedankenmodell ist es aber, hinter diesem Ganzen doch eine ökonomische Logik zu suchen: Es könnte ja gewollt sein, dass der Strompreis fällt, weil ja Industr ie und erzeugendes Gewerbe via Energiekosten ihre Wettbewerbsposition verbessern. Oder die enorme Generierung der Cash-Flows bei Telekom-Unternehmen als Mittel zum Zweck für langfristig ausgelegte Investitionen verstanden wird, was ja auch volkswirtschaftlich gut wäre. Aber am Ende kommt man zu keinem zufriedenstellenden Schluss. Marktwirtschaft lässt sich nicht anordnen und jede dieser Branchen ist ihren eigenen ökonomischen Zielen verpflichtet. Sollte es nicht mehr möglich sein, diese Ziele zu erreichen, bleibt nur ein Mittel: Zusperren, weil selbst Verstaatlichen diesen Prozess nur hinausschieben würde.
Vielleicht sollten wir unseren „Freunden aus USA“ für solche Wake Up Calls sogar danken …